06 November 2016

Fachwerkhäuser 0 - Ankunft

Fachwerkhaus an Fachwerkhaus, Nebel über den Bergen, über den schmalen Gassen erhebt sich ein Schloss. Es ist abends und es dämmert bereits, als ich in meinem langen, grauen Mantel von H&M aus dem Zug steige und die kühle Mittelgebirgsluft in meine Nase dringt. Ich hieve den kleinen Koffer aus dem Wagon, der Mann, der hinter mir aussteigt, zwinkert mir zu. Lieb lächle ich zurück, er sieht nett aus. Hat angegraute Haare, eine spitze Nase, blaue Augen, ist glattrasiert und trägt einen Frack. Justine hätte er sicher gefallen. Ich muss schmunzeln, wäre seine Krawatte nicht so breit. Ich trete einen Schritt vom Zug weg und recke meinen Kopf in Richtung Himmel. Die Luft ist feucht, aber nicht kalt, der Himmel grau, die letzten Sonnenstrahlen lassen sich in der Ferne erahnen. Es wird Regen geben. Aber in meiner Handtasche habe ich einen Schirm, weiß mit schwarzen Punkten, ein süßes Geschenk. Einmal habe ich ihn vergessen, in der Bahn und das vor einer wichtigen Semesterabschlussprüfung, zu der ich beinahe zu spät gekommen wäre, weil ich alles in Bewegung setze, um meinen Regenschirm wieder zu bekommen. Was ich am Ende auch tat, die Prüfung lief auch gut. Manchmal hat man eben Glück.
Schon setzte der Regen ein. Aber ich wollte, dass er mein Gesicht kitzelte und ließ die Tasche geschlossen. Hob die Hände gen Himmel, spürte das zarte Platschen an den Fingerspitzen und merkte, dass mein Lächeln mich immer noch nicht verlassen hatte.


Als ich aus dem Bahnhof trat, wehte mit dem nun etwas stärkeren Regen, Lärm zu mir herüber. Lautes Gelächter, vermutlich nicht ganz unbetrunken, drang aus einem kleinen Pub. Abgesehen von allen anderen Häusern, die ich durch den Regen im gedämmten Licht der Straßenlaternen erahnen konnte, schien es das einzige zu sein, welches nicht im Fachwerkstil errichtet wurde. Es erinnerte eher an eine kleine Berghütte, oder ein Hexenhaus, wie es dort, umgeben von einem kleinen Garten, mitten auf der Wiese zwischen Dorf und Bahnhof stand. Holzlatte an Holzlatte wurde es zusammengehalten, die Fenster waren alt und vergilbt, man sah nichts, außer das leichte Flackern der Kerzen auf dem Sims. Ein schiefes Dach, mit Efeu bewachsen und einem rauchenden Schornstein, schloss das Ganze ab. Doch auch wenn es von außen eher ungemütlich aus sah, schloss ich darauf, dass es im Inneren wohl sehr lustig und gemütlich zugehen musste. Denn sobald die Tür erneut aufging, als ein älterer Herr mit Filzhut, viel zu groß für seinen kleinen Kopf, das Lokal betrat, konnte ich wieder schallendes Gefeixe hören. Ich sah auf meine Uhr, kurz nach acht. Ich hatte keine Zeit mehr, für einen kurzen Abstecher, denn die Vermieter meiner Ferienwohnung hatten beiläufig erwähnt, dass sie gern Donnerstag Abend um viertel zehn den "Komissar Kora" im Dritten sahen. Was ich als Aufforderung, sie bloß nicht davon abzuhalten, in dem ich zu spät kam, verstand.


Nachdem ich gefühlte Stunden durch dieses winzige Dorf gelaufen war und in drei Gaststätten nachgefragt hatte, ob ich auch auf dem richtigen Weg sei, um bloß nicht den Falschen zu nehmen, stand ich endlich vor dem Haus, an dem ein großes Schild mit den Worten "Pension Bergmann belegt" hing. Das Haus erstreckte sich über vier Stockwerke und die Balken bogen sich unter der Last, die sie zu tragen hatten so sehr, dass es so aussah, als hätte man Bögen verwendet, um das Haus zusammen zu halten. In meiner Schwester wäre nun wahrscheinlich schon wieder Panik aufgestiegen, dass das Gebäude zusammenfallen könnte, sobald wir es betreten hatten, nur um uns unter Schutt und Asche zu vergraben. Trotz der Höhe war es sehr schmal, nicht breiter als zweieinhalb Meter. Die Tür war dafür winzig, nicht höher als einmeterundsechzig. Lustig war jedoch, dass sie unter der Straße weiterzugehen schien. Wäre mir nicht so kalt gewesen durch den Regen, hätte ich wahrscheinlich lachen müssen. Ich drückte auf den Klingelknopf, welcher die Form eines Froschkopfes hatte. "Hundertpro kommt jetzt ein alter Opa an die Tür.", dachte ich mir noch und keine Minute später knarrte die Tür und direkt auf Augenhöhe stand ein alter Mann mit gebeugten Rücken, Stützstock und grauem, lichten Haar vor mir. Er trug eine ausgeboddelte Kordhose und einen Pullunder, wodurch er mich an einen Komiker erinnerte. Seine Haut an den Händen, die eine klammerte sich so fest an den Stock, dass die Knöchel deutlich hervortraten, und im Gesicht war leichenblass, so dass seine Adern wie die Straßen auf einer Landkarte sich vom Hintergrund abhebten. Sein Gesicht war eingefallen, die Knochen standen hervor, die glasigen, grünen Augen waren riesig. Er war schlank, hatte nur einen kleinen Bauch und ließ die Schultern hängen. Aber seine Mundwinkel zogen sich nach oben, als er mich sah.

Freundlich begrüßte er mich: "Guten Abend, sie müssen die junge Dame sein, die das Dachgeschoss gemietet hat?", ich verstand ihn kaum, denn er redet unheimlich leise und röchelte leicht. 
...


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